Rückblick: Es ist 2015. Die RSG Hövelhof hat sich entschieden in diesem Jahr eine neue Herausforderung anzugehen. Die erste Teilnahme des Vereins an einem 24 Stunden Rennen steht bevor. Als i-Tüpfelchen haben sich Benny, Günter, Dietmar und David die legendäre Nordschleife ausgesucht. Klar, das Wetter in der Eifel gleicht einem Roulette-Spiel, aber Ende Juli wird das schon passen... Pustekuchen! Am frühen Samstagnachmittag soll das Rennen beginnen, aber bereits am Freitagabend beginnen Starkregen, Sturm und Temperatursturz. Die Ausstattung mit einem großen, mäßig stabilen Pavillon, Feldbetten und Schlafsäcken unterstreicht den Novizen-Satus des Teams – jeder Rock-Festival-Veteran weiß: Das ist nicht Ring-tauglich für ein ganzes Wochenende!
Die Mannschaft schafft es zwar in der Nacht vor dem Rennen erfolgreich den Pavillon festzuhalten. Der Ermüdungszustand ist aber schon am Samstagmorgen desolat. Als dann noch mehrfach der Rennstart verschoben wird, gibt es für die RSG Hövelhof nur noch eine sinnvolle Entscheidung: Abbruch des Abenteuers! Sachen packen, eine Testrunde auf der Nordschleife außerhalb der Wertung und dann Abfahrt in die Heimat.
Die Stimmung auf der Rückfahrt ist gedrückt, jeder versucht die Entscheidung noch einmal (wohl vor allem für sich selbst) zu begründen, aber eins steht schon jetzt fest: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Kapitel „24 Stunden Rennen“ wird zu gegebener Zeit erneut aufgeklappt!
Zurück im hier und heute. Juli 2019. Der 2. Anlauf. Der Ort des Geschehens ist ein anderer. Kelheim im schönen Bayern. Eines der traditionsreichsten 24 Stunden Rennen Deutschlands. Die Protagonisten sind fast gleich. Benny hat als junger Familienvater andere Verpflichtungen und schickt Martin als „Vertretung“ ins Rennen. Günter, Dietmar und David sind wieder am Start. Und als besondere Verstärkung bereichert Sarah als einzige Dame das Team. Da das Reglement 2 Damen in einer Mannschaft vorschreibt, um als Mixed-Team in die Wertung zu gehen, gilt das Team als Herren-Team. Unvorsichtige witzeln über das „Herren-Team mit Köchin“ - ihnen soll noch eine angemessene Lektion erteilt werden. Aber dazu später mehr...
Die Erfahrungen vom Nürburgring haben ihre Spuren hinterlassen. Das Teamquartier kann sich sehen lassen:
Ein LKW mit festem Aufbau als Schlafquartier und Materiallager, stabiler Pavillon, Gasgrill, „Renn-Leitstand“ mit Laptop, Trainingsrolle mit Rad zum Warmfahren, Kühlboxen, Montagestation, vorbereitete renntaugliche Ernährung usw...
UND ein Hotelzimmer am Vorabend. Das erleichtert auch die Teambesprechung und das Auffüllen der Energiespeicher.
Die teaminterne Startreihenfolge wird in einer intensiven 3-minütigen Diskussion festgelegt, so dass noch genügend Zeit für Burger, Schnittchen und 2 bis 6 Weizenbier bleibt. Vorbereitung ist alles!
Erste Erkenntnis am Renn-Samstag: Man kann ausgeschlafen und ausgeruht in ein 24 Stunden Rennen starten. Auf ins Fahrerlager!
Auf dem Stellplatz nebenan hat sich ein erfahrener und unerschrockener Einzelfahrer platziert. Auskunftsfreudig erklärt er seine Taktik fürs Rennen. 6 Stunden auf dem Aero-Renner, dann kurze Ess-Pause, Wechsel auf das klassische Rennrad, 4 Stunden-Turn, nächste Pause mit kurzem Powernap, wieder auf das Aero-Rad usw. So, so. Und wir dachten WIR wären gut vorbereitet und hätten einen genauen Plan. Na dann...
Der Rennbeginn kommt näher und Kelheim zeigt sein radsportliches Gesicht. Die Innenstadt steht ganz im Zeichen des Radrennsports. Diverse Parkplätze und Wiesen sind nah am Start-/Zielbereich als Fahrerlager umfunktioniert. Hunderte von Radsportlern und Zuschauern durchströmen die Straßen. Das Festzelt an der Wechselzone füllt sich mit Publikum. Spannung liegt in der Luft, die Ruhe vor dem Sturm. Apropos Sturm: Der ist nicht in Sicht. Wir sind ja nicht in der Eifel. Das Wetter bringt pünktlich zur Mittagszeit Sonne.
Eine Stunde bis zum Rennbeginn: David ist Startfahrer und geht auf die Rolle. Warme Muskeln in der ersten Runde sind wichtig. Man hat schließlich nur 24 Stunden Zeit, um Meter zu machen.
Günter hat am Laptop schon berechnet, wann Sarah als zweite Fahrerin auf die Rolle muss, wann sie zur Wechselzone aufbrechen muss, wann dann Martin dran ist, eigentlich auch schon wie viele Runden wir wohl insgesamt fahren werden und vor allem: Dass es zu regnen beginnen wird, wenn Dietmar aufs Rad geht. Abwarten.
Die Fahrer sammeln sich in der Startaufstellung. Es knistert. Die Sonne knallt. In Erwartung von Regen stehen einige Einzelfahrer trotzdem in langer Kleidung, teilweise mit Regenjacke am Start – sie wollen schließlich einige Stunden durchfahren bis zur ersten Pause. Für den Außenstehenden ein skurriles Bild, denn auch beim Material sind vom Holland-Rad bis zum Aero-Boliden deutliche Unterschiede zu sehen. Die Ambitionen sind wohl auch unterschiedlich.
Der Startschuss fällt, die Straße steigt. Sofort. Deutlich. Das Tempo steigt trotzdem ebenfalls. Ist das hier eine Qualifikationsrunde oder der Start eines Langstreckenrennens? Nach gut 25 Minuten kommt David in die Wechselzone. Dort spielen sich kampfähnliche Szenen ab. Nicht unfair, aber jeder will schnellstmöglich zu seinem Teamkollegen, um den Staffelstab zu übergeben. Diese Hektik hat die RSG nicht, trotzdem soll es zügig gehen. Der Wechsel klappt. Sarah ist auf der Strecke - David am Mechanikerzelt. Rohe Kräfte im Positionskampf der ersten Runde haben deutliche Spuren am Umwerfer hinterlassen. Davids Erklärung „Ich war voll im Modus.“ rückt Günter treffend zurecht: „Wenn du im Modus bist, bist du ein Bronco!“. Mit dem richtigen Feinmechanikerwerkzeug lässt sich das Problem aber lösen. Es lebe die Wasserpumpenzange!
Soweit läuft alles wie geplant. Günter erfasst alle Rundenzeiten in Echtzeit und kalkuliert die nächsten Startzeiten. Dietmar rollt sich warm. Und am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Dietmars Stimmung sinkt. „Das darf nicht wahr sein. Nicht schon wieder!“ erinnert er sich an die Wetterkapriolen beim gemeinsamen 24 Stunden Debüt-Versuch auf der Nordschleife. Doch, schon wieder. Klitschnass kommt er von seiner ersten Runde zurück. Und das geht auch den folgenden Fahrern so. In solchen Situationen ist gute Verpflegung für eine gute Stimmung gefordert. Die Hähnchenschnitzel sind schon gegrillt, die Nudeln gekocht. Mangels Hunger zur Mittagszeit ist zwar alles kalt, aber Martin weiß zu helfen. Ein Brötchen und etwas Käse dazu, fordert er Sarah auf: „Sag die 3 magischen Worte!“ Nach Sarahs verstörtem Blick und schweigen löst er selbst auf. „Wir überbacken es!“ Nach der ersten Runde Hähnchen-Nudel-Burger und mit nachlassendem Regen geht es in den Abend.
Routinen spielen sich ein. Warmfahren, mit 5 Minuten Puffer in der Wechselzone aufstellen, Runde abspulen, zurück ins Quartier, ausrollen, verpflegen, ausruhen. Und wenn Dietmar an der Reihe ist: Regensachen anziehen. Es entwickelt sich zur Grundregel, dass es regnet oder zumindest die Strecke vollständig nass ist, wenn Dietmar aufs Rad steigt und er vollständig durchnässt ist, wenn er wieder absteigt. Er nimmt es mit Humor.
Die Nacht kommt, aber in Kelheim tut das der Atmosphäre keinen Abbruch. Ein großes Lob an dieser Stelle an die gesamte Organisation, vor allem aber auch an die Zuschauer! Am „Stausackerer Berg“ reiht sich ein kleine Party an die nächste, hunderte Zuschauer feuern die Fahrer an, während sich Helene Fischer und David Guetta die Klinke in die Hand geben – rund um die Uhr! Die Stimmung wird nur noch von der im Festzelt unten in der Stadt getoppt. Sensationell!
Die vielen Regenschauer und die nicht sommerlichen Temperaturen führen allerdings dazu, dass die Nacht dem Rennen einiger Einzelfahrer den Abbruch beschert. Auch unserem Nachbarn. Größten Respekt hat seine Leistung verdient. Bis zum Abbruch hat er fast die gleiche Anzahl an Runden absolviert wie die RSG als Team. Kurz nach Mitternacht, nach dem ersten Turn auf dem klassischen Rennrad, wird aus seiner geplanten kurzen Verpflegung eine ausgiebige Dusche und aus dem Powernap ein 7 stündiger Schlaf der Gerechten. Bei der RSG nebenan ist ebenfalls Schlafenszeit. Die Taktik für die Nacht sieht 2-Runden-Turns für jeden Fahrer vor, damit die anderen genügend Zeit zum Duschen und Schlafen haben. Eine Wohltat nach den bis dahin absolvierten Rennstrapazen! Martin hat den Nutzen einer Schlafpause allerdings wohl nicht erkannt. „Ich trainiere für Paris – Brest – Paris, da muss ich auch die Nacht durchfahren“, grüßt er von der Rolle und strampelt auch in den Pausen fröhlich weiter.
„Wer's braucht...“ denken sich die anderen und nutzen das mäßig komfortable Schlaflager. Weil erholsamer Schlaf anders aussieht, ist keiner böse, als die Morgenstunden wieder den vollen Fokus fürs Rennen fordern. Die Strecke hat sich gefühlt deutlich geleert. Es scheint, als seien in der Nacht einige Teilnehmer ausgestiegen oder sie gönnen sich eine Pause. Sicher ist, dass es deutlich schwieriger geworden ist eine passende Gruppe zu erwischen, um die Runde mit wechselnder Führung möglichst schnell zu beenden. Die Zeiten der RSG-FahrerInnen bleiben dennoch weitestgehend stabil. Alle holen noch einmal das letzte aus sich heraus.
Als das Ende des Rennens naht, wird es noch einmal hektisch. Die Erkenntnis macht sich breit, dass nicht wie erwartet die letzte Runde, die vor 14 Uhr begonnen wird, gewertet wird, sondern die letzte Runde, die vor 14 Uhr beendet wird. David fühlt sich von der neuen Deadline angestachelt, Günter rechnet, Martin stellt fest, dass er Feierabend hat und Sarah bekommt die Gewissheit, dass sie das Rennen ins Ziel fahren darf. Ach, und Dietmar nimmt bei eigentlich strahlendem Sonnenschein noch einmal den letzten Platzregen mit. Traditionen wollen gepflegt werden.
Um kurz vor 14 Uhr stehen die 4 Herren mit tausenden anderen Zuschauern im Festzelt und bejubeln die ins Ziel rollenden Fahrer. Und dann endlich auch ihre „Köchin“. Vor 14 Uhr. Sie hat die RSG Hövelhof auf der letzten Runde noch auf den 37. Platz der Herren-Team-Wertung gefahren.
Und so viel sei gesagt: Sarahs Durchschnittszeit ist die zweitschnellste im Team und damit war sie doch eher „das Salz in der Suppe“.
Stichwort Suppe: Die RSG Hövelhof wäre nicht die RSG Hövelhof, wenn im Anschluss an das Rennen nicht auch noch „Leistung“ gezeigt würde. Während das Festzelt um sie herum schon abgebaut wird, genießen die Finisher der RSG noch einige Hopfenkaltschalen und lassen das Erlebte noch einmal Revue passieren.
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